Der 68er Geist sollte in den folgenden
Jahren die Verhältnisse am AGD und damit sein Gegenstück, den "Arndter
Geist", grundlegend umwälzen. Es vollzog sich, gemessen am Beginn
des Arndt-Gymnasiums, ein Stilwandel
unerhörten Ausmaßes, den ein Titel aus dem Dahlemer Blättern trefflich
auf den Punkt bringt: "Von straffer Haltung
zum Mini-Rock". Statt Vatermördern
(was ist das? >
klicke hier!) sieht man jetzt Damenbeine
in Nylonstrümpfen im Rampenlicht stehen, statt herrischer Patriarchen
kiebige junge Männer (anschauen? > Maus
über Bild ziehen!), kurz: "Die wilden jungen
Leute" von heute (wie die Dahlemer Blätter in wohlwollender Ironie
1976 titeln). (Von heute? Damals hieß es so, heute
(2003) sind sie ja eher zahm und apolitisch...
Oder möchte jemand widersprechen?
Email an den Chronisten > hier
klicken!).
1968 zitiert Direktor Pudelka aus einer Schulordnung
von 1908, "die heute nur noch Schmunzeln hervorrufen sollte":
"Wenn ein Schüler außerhalb der Klasse mit einem Lehrer spricht, so
hat er eine turnerisch straffe Haltung anzunehmen und nach der Unterredung
sich mit einer Kehrtwendung oder einer Verbeugung
zu entfernen. Hat ein Schüler [in der Klasse] aufzustehen, so tritt
er seitlich aus der Bank und steht, ohne sich anzulehnen,
turnerisch straff da; sein Buch hält er mit beiden Händen in
gehöriger Entfernung vom Gesicht. Beim Sitzen sollen die Hände nie unter
dem Tische sein..." etc. pp. Und 1972 übertitelt
ein Schüler (Klaus Runkel) seine Abiturrede
mit: "Kein Strammstehen mehr". Nachdem
er eine recht tumultuöse Szene am Beginn des Unterrichts in einer siebten
Klasse geschildert hat, berichtet er weiter: "Auf dieses bewegte Treiben
angesprochen, sagte mir der Kunstlehrer: Tja, vor sieben, acht Jahren,
da stürzte beim Anblick des Lehrkörpers jeder auf seinen Platz und blieb
dort ehrfurchtsvoll stehen, bis das erlösenden 'Stetzt euch!' kam. In
der Tat hätte damals wohl keiner gewagt ... die Autorität des anrollenden
Paukers etwa durch nicht genügend respektvolles 'Strammstehen' zu untergraben."
Der Abiturient lobt dann die "Entspannung des
Lehrer-Schüler-Verhältnisses", die "spürbare Auflockerung und
Entkrampfung des Unterrichts". "In diesem Zusammenhang besonders bemerkenswert
ist das Streben vornehmlich einiger jüngerer Damen und Herren des Lehrerkollegiums,
bei Streitigkeiten oder unbedachten Handlungen von Schülern diese nicht
durch erhöhte Phonstärke einzuschüchtern (Vergleich
mit den alten Sitten? > hier
klicken!), sondern sie tatsächlich zu überzeugen.
... Nur durch solche Entwicklungen kann es erreicht werden, dass die
Schüler selbständiger und selbstkritischer
die Schule verlassen..."
Und was war bei all dem aus dem "Arndter Geist", jenem "recht
umstrittenen Fabelwesen" geworden? Lebte er noch oder war er angesichts
dieser unbotmäßigen Jugend und der 'Verabschiedung der alten Patriarchen'
untergegangen? Was war er überhaupt genau, dieser "Arndter Geist"? Beziehungsreich
- und sicherlich nicht ohne Anspielung auf den "Arndter Geist" - hatten
die Dahlemer Blätter von 1968,2 noch getitelt: "Fluctuat, nec mergitur"
("Von Fluten rings umgeben, und trotzdem sinkt sie nicht" - Wappenspruch
der Stadt Paris); aber manch ein "Alter Arndter" (Helmut Wilhelm) sah
dies nun anders: "Der Arndter Geist ... ist
wohl völlig in den Tiefschlaf versunken (sic!). Die Jugend hat
heute kaum noch Beziehungen zur Tradition;
während wir noch ... ehrfürchtig zur 'Unke', zu 'Sm' oder 'Onkel Su'
aufblickten, werden solche 'Pauker' heute verlacht. Während wir noch
heimlich mal eine Zigarette rauchten, wird heute darüber diskutiert,
in welchem Stockwerk ein Zimmer für die praktische
Liebe eingerichtet wird. Der Arndter Geist hat kein Zuhause mehr
zwischen Pop und Beat, zwischen
Rauschgift und Sex...".
Demgegenüber bricht Prof. Karl Rode (selbst "Alter Arndter",
versteht sich) in "Audiatur et altera pars" ("Auch der andere Teil werde
gehört" - alter römischer Rechtsgrundsatz) ein Lanze für die Jugend.
Aber zuerst definiert er kurz und gut (wie der Chronist meint): "Den
'Arndter Geist', der nun endlich zur
Diskussion gestellt wird, könnte man in kürzester Formel definieren
als humaner Patriotismus (Subjekt und
Adjektiv vertauschbar [Anmerkung von Rode selbst]), garniert
mit liberalem Christentum evangelischer Herkunft." Weiter unten
ergänzt er, dass "kaum ein Kraut gewachsen" sei "gegen den sentimentalen
wie militanten 'Idealismus' deutsch-nationaler
Prägung", der ja - so konzediert er ambivalent - am AGD von "prächtigen
Leuten" vertreten sei... ("aber ... Gemeinsamkeit des Geistes besteht
- glücklicherweise - nicht.")
Erläuternd schreibt er dann über seinen eigenen Lebensweg:
"Ich selbst habe ... in diesem Sinne gelebt: nationale Jugendbewegung,
Freikorps, Wehrmacht..., Eintritt in die NSDAP, vor der Machtergreifung
versteht sich... Nun, die Reue fing 1933 an ..., vermochte allerdings
die militärische Loyalität ... nicht aufzuheben. Es folgten drei Jahre
der Buße in Gestalt der Amtsenthebung durch die Besatzungsmacht, die
ich als gerechtfertigt und fruchtbar erfahren habe. Entsprechend der
intensiven Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche ... blieb die kirchliche
Sphäre noch etwa 20 Jahre heil..."" ... ab 1954 (begann ich) politisch
aktiv zu werden, und zwar verständlicherweise mit [humanem und rationalem]
Linksdrall." Ein erstaunliches Zeugnis für die Offenheit
und Wandlungsfähigkeit dieses Arndter Geistes, den Rode ja auch
verkörpert, wenngleich er eher Andere als dessen Stellvertreter zu sehen
scheint: "Vielmehr, dieser Geist hat sich meines Erachtens gründlich
und endgültig disqualifiziert..." Und dann, in einem Abschnitt "Dank
an die Jungen" (nach vielen, kritisch enttäuschten Kommentaren über
eben diese...): "Ich meine, wir Alten ... sollten es den jungen Leuten
- und besonders den 'Radikalinskis' - danken,
dass sie ohne Rücksicht auf Verluste ... agieren und agitieren gegen
eine überwältigende Drohung, vor der wir die Segel gestrichen haben,
sofern wir nicht sogar aktive Mittäter sind und ... Mitschuldige werden."
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